Darstellung einer kriminellen Arbeitsweise
aus dem Bereich der

Wirtschaftskriminalität

( " Weiße-Kragen-Kriminalität " ).


Von den vielen Betrugsmöglichkeiten im Wirtschaftsbereich soll hier eine ganz spezielle Arbeitsweise anhand eines ausführlichen Beispiels dargestellt werden. Es geht um

Ausschreibungsbetrug

durch manipulierte Vordersätze und Scheinpositionen.


Kurzbeschreibung der Arbeitsweise:

1. Bei Ausschreibungen werden Arbeiten, deren Ausführung
sicher ist, mengenmäßig untersetzt angegeben. Im
Gegenzug werden Arbeiten, deren Ausführung
überhaupt nicht vorgesehen ist,
dennoch ausgeschrieben.

2. Ein bestimmter Unternehmer wird hierüber informiert.
Dieser setzt bei den "sicheren" Arbeiten sehr
hohe und bei den "Scheinpositionen" lächerlich
geringe Preise ein.

3. Die Mitbewerber werden "augenscheinlich" zu teuer und
aus dem Wettbewerb geworfen, weil sie aus
Unkenntnis bei den Scheinpositionen
normale Preise einsetzen.

4. In der Rechnung entsteht der Schaden dann dadurch,
dass bei den "teuren" Positionen mehr Massen
abgerechnet werden als ausgeschrieben wurden
und die "billigen" Positionen nicht mehr
erscheinen.

5. Wenn sich der Auftraggeber nur die Endsummen der
Ausschreibung und der Rechnung ansieht, bemerkt
er nicht, dass er betrogen wurde.


Diese Betrugshandlung muss als besonders raffiniert und gefährlich angesehen werden, weil sie

- unendlich variiert werden kann,

- für die Täter sehr gewinnträchtig ist,

- von den Geschädigten nur sehr selten erkannt wird,

- wirkungsvoll die leidige Konkurrenz ausschaltet,

- in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt ist,

- schwer als Straftat nachzuweisen ist,

- bei den Ermittlungsbehörden eher ein Schattendasein fristet

und sich aus diesen Gründen seit Jahrzehnten einer ungebrochenen Beliebtheit erfreut.

Der Fall

Bei diesem Beispiel geht es um eine Tiefbaumaßnahme, bei der eine Gemeinde ein Neubaugebiet erschließen will. Hierzu soll eine Straße sowie ein Abwasserkanal hergestellt werden. Es könnten jedoch alle möglichen Bereiche betroffen sein, bei denen ein Leistungsverzeichnis (ggf. auch ein Pflichtenheft) als Grundlage für ein Angebot dient.


Es fängt schon schlecht an - oder:
die HOAI (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure)

Mit der Planung, Ausschreibung und Überwachung dieser Maßname wird ein renommiertes Ingenieurbüro beauftragt. Mit dem Abschluss des üblichen Ingenieurvertrages beginnt jedoch schon das Unheil. Die HOAI bestimmt, dass das Ingenieurbüro einen festen Prozentanteil der abzurechnenden Bausumme als Honorar erhält. Ein verführerischer Fakt: Das Ingenieurbüro, das eigentlich die Interessen der Gemeinde vertreten soll, kann kein gesteigertes Interesse daran haben, kostengünstig zu bauen, denn je höher die Schlussrechnung für die Bauarbeiten ausfällt, desto höher ist auch das eigene Honorar.
Natürlich ist die Mitwirkung eines Ingenieurbüros nicht zwingend erforderlich. Dieser Part kann auch von angestellten oder beamteten Mitarbeitern übernommen werden.

Das muss getan werden

Um den Umfang des Bauvorhabens zu ermitteln und um eine Ausschreibung vorzubereiten, wird vom Ingenieurbüro ein Leistungsverzeichnis (LV) erstellt. Hierin werden alle anfallenden Arbeiten in Art und Umfang beschrieben. Anschließend kommt es zu einer öffentlichen Ausschreibung, bei der den interessierten Baufirmen eine Mehrausfertigung des LV zugestellt wird. Die Firmen tragen ihre Preise ein und geben das LV als Angebot in einem verschlossenen Umschlag zurück. Nach der anschließenden Submission, einer Veranstaltung bei der die Angebote geöffnet und die Endsummen der einzelnen Bieter bekannt gegeben werden, bekommt dann meist der günstigste Bieter den Zuschlag.

Jetzt jedoch wird es hochgradig kriminell

In unserem Fall ist der scheinbar günstigste Bieter tatsächlich der weitaus teuerste, denn das Leistungsverzeichnis ist manipuliert, um

a) den Auftrag einem bestimmten Unternehmer zuzuschanzen und

b) die Gemeinde/Anlieger kräftig übers Ohr zu hauen.

Und so wird's gemacht - oder:
die betrügerische Arbeitsweise

Um die Manipulationen darstellen zu können, sind die 120 Einzelpositionen des LV in vier Gruppen aufzuteilen:

1. Unmanipulierte Positionen
2. Positionen mit untersetzten Mengenangaben
3. Bekannte Scheinpositionen
4. Unbekannte Scheinpositionen

zu 1. (unmanipulierte Positionen)

Hier ist es so, wie es eigentlich sein sollte: Die ausgeschriebenen Mengen entsprechen den tatsächlichen Erfordernissen und die Preise aller Bieter sind reell kalkuliert.

zu 2. (Positionen mit untersetzten Mengenangaben)

Es werden ausgesuchte Positionen, die mit Sicherheit zur Ausführung kommen, mengenmäßig untersetzt angegeben. So weiss man z.B., dass in einer bestimmten Position ca. 2.200 Einheiten anfallen werden. Dennoch werden nur 300 Einheiten ausgeschrieben. Der informierte Bieter (mit dem man konspirativ zusammenarbeitet) setzt hier stark überhöhte Preise ein. Diese Wucherpreise begründen später bei der Abrechnung den Hauptteil des finanziellen Schadens. Die Reduzierung der Vordersätze dient der Verschleierung der Wucherpreise der ausführenden Baufirma und (im Zusammenspiel mit den nachfolgenden Scheinpositionen) der Ausschaltung der Mitbieter.

zu 3. (bekannte Scheinpositionen)

Als Scheinpositionen bezeichnet man Leistungen, die zwar im LV enthalten sind, deren Ausführung jedoch nicht vorgesehen ist. Für die Betrugshandlung sind sie zwingend erforderlich: Durch die hohen Preise in der Gruppe 2 könnte der bevorzugte Unternehmer niemals günstigster Bieter sein und somit auch nicht den Zuschlag erhalten. Deshalb werden bestimmte Positionen als "bekannte" Scheinpositionen in das LV eingefügt. Der Unternehmer setzt bei diesen Positionen, von denen er weiss, dass er sie mit absoluter Sicherheit nicht erbringen muss, z.T. lächerlich geringe (unauskömmliche) Preise ein. Die ahnungslosen Mitbewerber dagegen gehen davon aus, dass sie diese Leistungen erbringen müssen und kalkulieren normal. Dies führt dazu, dass die Mitbewerber scheinbar zu teuer sind und aus dem Wettbewerb geworfen werden.

zu 4. (unbekannte Scheinpositionen)

Durch die hohen Preise und die deutlich höheren abzurechnenden Mengen in der Gruppe 2 würde die Schlussrechnung eine wesentlich höhere Endsumme aufweisen als das Angebot. Dies macht nach allgemeiner Lebenserfahrung die Auftraggeber bockig. Damit es nicht so weit kommt, werden von vornherein die Kosten des Bauprojektes auf das "richtige" Niveau hochgejubelt und somit Spielraum für alle Eventualitäten geschaffen (wozu das gut ist, werden wir im nächsten Abschnitt sehen). Hierzu nimmt man unbekannte Scheinpositionen in das LV auf. "Unbekannte" deshalb, weil auch der "befreundete" Unternehmer diese Positionen nicht kennen muss. Es fallen in der Rechnung zwar schon die Positionen der Gruppe 3 weg - weil aber dort nur lächerlich geringe Preise eingesetzt wurden, reichen diese zum Ausgleich nicht aus. Man bedient sich in der Gruppe 4 absichtlich vieler kleiner, unauffällig verteilter Positionen. Ein großer, ins Auge fallender Posten könnte nämlich den Auftraggeber auf die Idee bringen, dass dieser Wegfall eine Verbilligung des Projektes zur Folge haben müsse - und alles andere als das ist gewollt.

Das dicke Ende

Bei der Schlussrechnung stellten die Betrüger fest, dass sie die Scheinpositionen der Gruppe 4 zu reichlich bemessen hatten und hierdurch die Rechnung niedriger ausgefallen wäre als das Angebot. Da dies die öffentlichen Auftraggeber aber überhaupt nicht gewohnt sind (in aller Regel ist es nämlich umgekehrt), wollte man die "guten Sitten" nicht verderben und hat diesen Spielraum dazu genutzt, um Leistungen in Rechnung zu stellen, die überhaupt nicht erbracht wurden. Auch kam es zu Doppelberechnungen, weil Leistungen, die über das LV bereits abgegolten waren, zusätzlich bei den Tagelohnarbeiten erschienen.

Obwohl das Projekt fast doppelt so teuer war als es hätte sein dürfen, entsprach letzten Endes die Rechnungssumme der Angebotssumme - und das ist das Hundsgemeine an dieser Arbeitsweise.
Bürgermeister und Kämmerer konnten sich auf die Schultern klopfen und dem Ingenieurbüro eine Dankesbotschaft zukommen lassen: Man hatte es tatsächlich geschafft, sich im vorberechneten finanziellen Rahmen zu bewegen und war ohne die sonst üblichen Mehrkosten ausgekommen.
Zum Wohle des Bürgers - herzlichen Glückwunsch, denn üblicherweise werden bis zu 90 % der Gesamtkosten auf die nichtsahnenden Anlieger umgelegt.


Anhand der separaten Tabellen "Leistungsverzeichnis" und "Rechnung" werden die o.a. Ausführungen verdeutlicht und die Folgen der Manipulationen dargestellt.

Das Ausmass des ermittelten Schadens dürfte bei diesem Beispiel zwar extrem sein - es ist aber authentisch. Die erwähnten Zahlen sind gerundet, entsprechen in ihren Proportionen zueinander jedoch den tatsächlichen Gegebenheiten.

Prävention und Repression

wären in der Theorie sehr einfach, sind in der Praxis jedoch eher schwierig. Theoretisch bräuchte man sich nur den Preisspiegel anschauen, der nach Submissionen erstellt wird, und dort bei den Einheitspreisen der Bieter nach groben Ausrutschern (sowohl nach oben als auch unten) zu suchen.

Vor einer Auftragsvergabe sollte man Bieter mit solchen Preisen entweder ganz vom Wettbewerb ausschließen (nach VOL, Teil A, Abschn. 2, § 19EG, P. 6, sogar Pflicht!) oder zumindest vor der Bewertung der Gesamtangebotssumme bei Positionen mit unauskömmlichen Preisen die Durchschnittspreise der Mitbieter einsetzen. So ist der wahre Wert des Angebotes zu erkennen.

Ist die Baumaßnahme bereits abgeschlossen, sind entsprechende Verdachtsmomente dadurch zu erhalten, indem man in die Schlussrechnung der ausführenden Firma die Einheitspreise z.B. des zweitgünstigsten Bieters einsetzt (siehe Tabelle "Rechnung"). Würde diese fiktive Rechnung niedriger ausfallen als die tatsächliche, liegt ein Betrugsverdacht nahe.

Soweit die Theorie, was aber ist in der Praxis so schwierig?

Es ist zunächst mal der Zugang zu den entsprechenden Unterlagen, weil diese bei der geschilderten Betrugshandlung in ein "geschlossenes System" eingebettet sind: Als Außenstehender bekommt man die Unterlagen nicht zu Gesicht - ein Anfangsverdacht jedoch ergibt sich nur aus der Auswertung dieser Unterlagen. Bei den Hütern dieser Akten kann es sich zudem noch um Personen handeln, die direkt oder indirekt dem Täterkreis zuzuordnen sind - das macht die Sache auch nicht einfacher. Anlieger z.B., die bei Erschließungsmaßnamen zur Kasse gebeten werden, sollten ruhig mal einen Blick in den Preisspiegel riskieren und sich nicht mit einem Hinweis auf den "Datenschutz" abweisen lassen. M.E. steht zumindest Betroffenen bzw. Zahlungspflichtigen ein solches Recht gem. § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes zu. Die Rechtsabteilung des für meinen Wohnsitz zuständigen Landratsamtes hält eine Einsichtnahme in den Preisspiegel für "durchaus vertretbar". Rechtliche Hinderungsgründe gibt es somit für Betroffene nicht und wenn dennoch keine Einsichtnahme gestattet werden soll, kann man dies getrost als einen Hinweis auf Unzuläglichkeiten verstehen und sollte sich auf keinen Fall abwimmeln lassen.

Berufsmäßige Ermittler haben ohne bestimmte Verdachtsmomente keine Veranlassung, in diese Richtung tätig zu werden ("Wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter") und dass keine obligatorische Überprüfung der Angebote auf manipulierte Vordersätze und Scheinpositionen erfolgt, könnte, wenn man diesen Fakt wohlwollend bewerten will, an der Unkenntnis der Verantwortlichen liegen.
Eine ganz erhebliche weitere Schwierigkeit ergibt sich noch aus der Tatsache, dass es sich hier um eine typische "Weiße-Kragen-Kriminalität" handelt: Die Täter stehen oftmals als Unternehmer, Mandatsträger oder sonst wie im öffentlichen Leben und können sich durchaus auf anderen Gebieten für die Gemeinschaft Verdienste erworben haben. Es gibt offensichtlich deutliche Hemmschwellen, sich mit solchen Leuten anzulegen.

Bezüglich der Repression (Ermittlungen durch die Strafverfolgungsbehörden) gibt es ein weiteres großes Problem: Den Nachweis des Vorsatzes. Die beliebtesten Ausreden: "Mischkalkulation", "übliche Unwägbarkeiten" und "Versehen". Auf was deshalb Ermittler achten müssen, möchte ich allerdings nicht zum Gegenstand einer öffentlichen Erörterung machen.

Abschließend ist festzustellen, dass dieses System nur von den Personen aufgebrochen werden kann, die

a) Zugang zu den Unterlagen haben,

b) nicht selbst Täter sind,

c) die hier dargestellte Arbeitsweise kennen und

d) sich nicht scheuen, mühevolle Wege zu gehen.

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